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Das Chaisrä wurde im 15. Jahrhundert beliebt. Es war ein Spiel,
das Landsknechte (Söldner in fremden Diensten) gerne spielten
und wohl von ihnen auch erfunden wurde. Hinter den Spielregeln
verbirgt sich eine aufmüpfige Haltung, welche die etablierten
Positionen von “Obrigen” und “Niedrigen” nicht akzeptierte.
Interessant ist, dass dieses Denken am Beginn einer Denk-Strö-
mung steht (der Aufklärung), die schliesslich zur Abschaffung
des Adels und der absoluten Obrigkeits-Geltung führte und in
Demokratisierung endete. Vor allem sind die “Stupf” auffällig,
weil sie, wenn sie schlau eingesetzt werden, den Stechern
trotzen können.
Gute und nach-denkliche Unterhaltung
Symbolische Bedeutung des Kaiserns als .pdf
Zur Raffinesse der Listkunde
Kaiser-Jass nach Lungerer-Art
Symbolische Bedeutungen
in der Geschichte des Kaiserns
von Johannes Gasser, 2015
Der Jass ist ein Nachfolger des Kaiserns. Das Kaisern ist
durch die Landsknechte entstanden. Sie nahmen die
Ideen der Trionfi-Spiele im 15. Jahrhundert schnell auf.
Kartenspiele waren in vielen Regionen der früheren
Schweiz immer wieder verboten. Sogar das Jassen wurde
untersagt. Das Kaisern jedoch war in den Regionen der
Innerschweiz erlaubt. Wohl deswegen,k weil viele
Einheimische als Söldner in fremde Dienste zogen und
gutes Geld nach Hause brachten. Das Spiel ist ja sehr
kritisch gegen die Obrigkeit, gegen Fürsten, Könige und
Papst, was wohl auch den Eindruck der Innerschweizer
Haltung wiederspiegelte. Die Könige haben eine
tatsächliche Position innen, sie thronen und wollen in
ihrem Hochsitz belassen werden. Das haben sie im
Kaisern auch, aber es gibt stärkere Karten, nämlich jene,
die stechen. Da die Landsknechte ja im Dienste von
Herren und Königen standen und von ihrem Schweizer
Zuhause aus keine Könige anerkannten, gab es Stecher,
die jeden König aushebeln konnten. Könige selbst waren
nicht in der Lage, so die Wunschvorstellung der
kaisernden Soldaten, irgend einen Stecher auszuhebeln.
Dass man mit Hauen und Stechen im Krisenfall
durchkommt, das war ihr tägliches Geschäft. Geschäft
war es vor allem, wenn sie in fremden Diensten standen,
denn dann verdienten die Soldaten Sold. Stechen war
eine Eigenschaft der Lanzen, Schwerter und den damals
beliebten Hellebarden. Es war eine Kombination aus Beil,
Stechspitze und Reisshacken. So waren auf dem
Schlachtfeld die Stecher (also die Soldaten mit ihren
Schwertern, Speeren oder Hellebarden) in gewissen
Fällen eben doch stärker als die Throner. Vorausgesetzt
war, sie kamen mit ihrer Kraft und Spezialität, eben dem
Stechen, zum Zuge. Auf diese Weise kann der
Trumpfbauer jeden König oder Vorgesetzten (Obern)
ausstechen.
Beim Kartenspiel des Kaiserns gilt die selbe Logik.
Karten kommen als Stecher zum Zuge, wenn sie ange-
sagte Banner sind (das Banner wurde von den Soldaten
vorangetragen) oder aber zur Trumpffarbe gehören.
Trumpfkarten zu haben heisst, auftrumpfen können und
das Sagen über alle (blossen) Farbkarten zu haben.
Doch die Sache ist komplexer, denn selbst beim
Stechen hatten die Throner noch Macht, sogar wenn sie
nicht Trumpf waren, nämlich dann, wenn sie vor dem
Stecher ausgegeben wurden und vom Stecher nicht
(ein)genommen werden konnten, da dieser eine niederere
Machtposition hat. Aber mindestens konnten die Throner
einen Stecher nie nehmen, selbst wenn sie Ober (Offizier)
oder König oder Ass (Papst) waren. Man merke: wer
zuerst kommt, hat mehr zu sagen, als der Nachzügler,
ausser er ist Stecher.
Die Stupfkarten sind nicht sehr nützlich für jeden
Einsatz, aber werden sie als erste ausgegeben, können
sie (als Trumpf-7) auch dem grössten König, sogar dem
Trumpfass und der Trumpf-6, die Stirne bieten. Nur einer
war immer höher: der Trumpf-Bauer. Dass die einfachen
Bauern als Trumpf stärker waren als alle anderen Positio-
nen, war natürlich eine Beleidigung der “Oberen”, der
“Herren”. Stupfkarten können die “Höheren” stupfen, das
heisst sie reizen oder aus dem Konzept bringen, da die
Norm der “Höheren” darin bestand, Niedere nicht beach-
ten zu müssen. Im Trumpf aber werden die Hierarchien
über den Haufen geworden. Das war ein deutliches Den-
ken, dass die einfachsten Menschen, eben das
Bauernvolk, wenn es zum Zuge kommt, stärker sein kann,
als Stand und Status.
Der Stupf ist ein hochspannende Angelegenheit. Ein
Stupf muss nichts können, keine Machtposition
innehaben. Er muss sich nur geben, wie er ist. Das
bedeutete er muss als erstes ausgegeben werden. Dann
ist er reine Hingabe, und vermag durch keinen Stecher
ausgehebelt, überfahren oder genommen werden. Diese
Eigenschaft ist der Trumpf-7 inne. Wenn sie sich gibt, ist
sie tabu, praktisch sicher, dass sie gewinnt. Es gibt nur
eine einzige Ausnahme, der Trumpf-Bauer. Das bedeutet,
dass letztlich das Stecher-Denken prinzipiell immer noch
die Überhand hat.
Im chineischen Daoismus, einer spirituellen
östlichen Tradition ist das Stupf-Denken so zentral, dass
die Stupf-7 (gedeutet als unerschütterliche Haltung von
sich aus und in sich ruhend, die keinem andern etwas
zuleide tut, aber sich auch nichts anderes zuleide tun
lässt). dort von gar niemandem mehr genommen werden
kann, weil Stupf, das sich rein gibt und nicht reagiert,
unbesiegbar ist. Eine Karte , die als zweite ausgegeben
wird, ist eben schon eine Reaktion auf die Erste und setzt
durch ihre Zweit-Stellung eo ipso einen Reaktionskreislauf
in Gang. Der reine Gebenskreislauf hat keine Reaktionen
im Gefolge, sondern Antworten. Eine gebende Antwort auf
die Trumpf-7 wäre jene Karte, die macht, dass am
Schluss des Satzes beide Parteien den Satz einheimsen
könnte, und jede unvergleichlich mehr hat. Das würde
aber bedeuteten, nicht mehr untereinander verglichen zu
werden, und dennoch miteinander verbunden zu sein.
Hier kann das wertende Denken nicht mitgehen. Es wird
ersetzt durch das Handeln-mit-Macht, aber zugleich auch
durch das Handeln und gewinnen mit Ohn-Macht (Stupf).
Das Aufkommen des Kaiserns und dessen
Mentalität gehört zu den Vorboten der Aufklärung. Wenn
wir die Daten bedenken so ergeben sich interessante
Zeitperspektiven. Im Mittelalter waren Würfel- und
Kartenspiele verwerflich und vielerorts verboten. Für den
Dominikaner Ingold Wild war jedes Spiel Mitte des 15.
Jahrhunderts generell ein Laster und eine Todsünde. Das
Kaiser-Spiel wurde seit 1426 in Süddeutschland erwähnt.
1445 erfand Johannes Gutenberg den Druck mit
beweglichen Lettern: Wissen konnte dank der neuen
Buchdruck-Maschinen leicht in der ganzen Welt verbreitet
werden. 1492 entdeckte Kolumbus Amerika und die
Kolonisierung der Welt durch Europäer begann. Die Erde
wurde als Kugel entdeckt. Der Beginn des aufklärerischen
Selbstbewusstseins begann. 1517 schlug Martin Luther
seine Reformationsthesen an das Portal der Kirche von
Wittenberg. 1545 begann das Konzil von Trient als
Reaktion auf das protestantische Denken. Gegen Ende
des 15. Jahrhunderts und Anfang des 16. Jahrhunderts
soll das Kaiserspiel eines der verbreitesten Spiele
gewesen sein. In einem Beschluss einer Nidwaldner
Landsgemeinde vom 29. September 1572 heisst es:
«Die nachfolgend dry Spil als namlichen Trogen [Tarock], Muntern
und Keyssern, die sind erloupt. Muntern und Keyssern, die sind
erloupt.»
1776 erklärten sich die Kolonien in Amerika als
unabhängig von den Briten und etablierten ihre
Demokratie.1789 kam die französische Revolution. Die
Demokratie hielt auch dort Einzug, und der Bauer hatte
gleiche Stimme, wie der Adlige und wo es keine Kaiser
und Könige mehr gab. 1793 wurde der letzte König
Frankreichs (Ludwig XVI.) enthauptet.
Es war im 15. Jh. ein Zeichen der Auflehnung, dass
die Bauernsöhne sich im Spiel über die Herrensöhne erhe-
ben konnten. Das Kartenspiel mit ihren klaren Strukturen
von Macht, Herrschaft und Gewalt wird zu einem Symbol
der ewigen Sehnsucht im Menschen, über alle Macht und
Stellung triumphieren zu können, selbst wenn man nur ein
“kleiner Bauer” war. Deshalb hat der Bauer im gemein-
schaftlichen Alltag zwar die niedrigste soziale Stellung,
aber im Jass und Kaisern die höchste Stechkraft, falls, ja
falls er mal Trumpf ist. Durch Stupf war klar, dass eine
noch so geringe Karte mächtig sein kann, wenn es an der
Zeit ist und die Situation stimmt, das heisst wenn sie als
Trumpf ganz am Anfang eines Stichs ins Spiel kommt.
Interessant ist auch die Position des Asses. Dieses wird
sogar in der Farbposition an die niedrigste Stelle gesetzt.
Das Ass kann für den Papst stehen, der im Kriegswerk
eigentlich nichts zu sagen hat, aber im Trumpffall auch an
einer anderen Stelle steht. Aber beim Kaisern steht es
dennoch erst an vierter Stelle der Machtposition. Die
Verachtung für das Ass wird auch dadurch gezeigt, dass
das Ass auch als “die Sau” bezeichnet wird.
Schliesslich werden die Banner zu eigentlichen
Kaisern. In der nachrömischen Zeit waren in Westeuropa
die Kaiser nicht Könige über Könige, weil sie als Kaiser
sich nicht wie Alleinherrscher gebärden konnten, sondern
vorsichtig mit Königen und Wirtschaft (Bauern, Gelder)
umgeben mussten. Die Banner, die keine Personen sind,
aber wirkmächtige Symbole, wurden zu Kaisern gemacht.
Der Grund liegt in der Macht des existentialen Symbols.
Die Banner stehen in der Schlacht für die Kampf-Einheit
und markiert sichtbar die eigene Positionen. Alle die dazu
gehören scharen sich um das Banner, und auch
umgekehrt: Das Banner verleiht den Angehörigen der
Truppe das zugehören. Die Kraft der Banner ändert sich
nicht durch Trumpf. Sie haben ihre bedeutende, be-
stechende Stellung aus sich selbst. Die verschiedene Kraft
und Macht resultiert aus der Farbe und analog ihrem
Einsatz Bereich im Kampf. Ihre innere Kraft ist sehr
unterschiedlich. Das Rosenbanner, also das Zeichen der
Blume und ihrer Sanftheit, ist der stärkste Kaiser. Die
Blume steht als Erhabenheit und natürliche Schönheit
ganz oben. Dann kommt der Oberchaiser (Schilten-
Banner), der dazu da ist, Schutz und “Schild” zu sein für
die Rose und alle Höheren wie Niederen. Die Eichel, als
Symbol für Nahrung steht an dritter Kaiserstelle. Schällen-
Banner, der mit seinen Schellen den grössten akustischen
Lärm macht von allen Kaiser ist der niedrigste Kaiser.
Lärm vermag, nach der Logik des Kaiserns, die oberen
nicht zu “nehmen”, nur die Personen-losen Karten. Dies
Symbolik ist aufschlussreich. Zuoberst die natürliche die
Schönheit des Lebens (Blass, Rosenbanner), dann der
Schutz des Lebens (Oberchaiser, Schiltenbanner), dann
die Frucht der Natur und des Lebens (Griän, Eichel
banner) und schliesslich der Lärm des Lebens. Die
Landsknechte, welche durch und für den Krieg lebten und
dabei gewaltigen Lärm machten, stuften den Lärm des
Lebens nicht als das Höchste, sondern als das am
wenigsten “Be-Stechende” ein.
Die Banner sind ja stilisierte Feldzeichen. Es stelle
eine Lanze dar, mit einem Wimpel. Diese Zeichnung teil
die Karte diagonal. Man kann sich vorstellen, wie wichtig
die Banner waren. Die Könige und Generäle hatten zwar
Verfügungsmacht. Aber in der Schlacht oder Kampf, waren
es die einfachen Soldaten (die Bauern), welche die
Symbole der Macht und Zusammengehörigkeit trugen. Der
höchste Kaiser, das höchste Banner (Symbol für die
Gemeinschaft derer, die an der Front der Veränderung
stehen) ist stärker als alle Könige. Im Klartext: Symbole
können stärker sein als Throne und viele andere Stecher.
Aber Positionen und Symbole allein bestimmen nicht die
Machtverhältnisse, sondern der Trumpf.
Der Trumpf steht nicht für das, was IST, also
Positionen, Befehlsrang, Besitz und Ansehen, sondern für
das, was im Leben eigentlich zählt. Personen, die während
eines Krieges oft täglich im Kampf standen und mit ihrem
Tod rechnen mussten, sie wussten, dass die existentiale
Situation von Leben und Tod völlig andere Werte in den
Vordergrund stellt. Trumpf ist gleichbedeutend, mit “das,
was eigentlich zählt”. Der Trumpf verändert die ganze
Ordnung der Welt. In dieser Trumpfordnung stehen nicht
mal die Kaiser an höchster Stelle, sondern der Trumpf-
Bauer. Die Trumpf-7 hat ihre Kraft darin, dass diese Karte
durch die blosse Existenz, im richtigen Augenblick, eine
dominante Stellung erreicht. Es ist eine Form von „Wirken
durch Nicht-Wirken“. Erst dann können alle anderen
Karten zu ihrer Stellung kommen. Vor allem ist es klar,
dass sogar beim Trumpf eine positional niedere Karte,
nämlich die Trumpf-6, noch eine höhere Stellung hat, als
das Ass, d.h. als die höchste weltliche oder geistliche
Position. Wer Trumpf-Bauer, Trumpf-7 und Trumpf-6 auf
seiner Seite hat, hat zum vorne herein jedes Spiel
gewonnen.
>> Kontakt
P.S. in der Perspektive des Flow zählt die Fähigkeit zum
Spielen und die Praxis des Spielens zu den
Grundaktivitäten der Lebendigkeit.
Artikel zur Geschichte des Kaiserns, TA 6.9.2012
inkl. zum aufmüpfigen Charakter des Kaiserns
höchster Stupf